Cannabis in der Medizin hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Dieser Überblick beleuchtet die historische Entwicklung, die Hauptwirkstoffe sowie das Endocannabinoidsystem und beschreibt die verfügbaren Cannabisarzneimittel in Deutschland, ihre Anwendungsformen und Indikationen.
Cannabis ist eine der ältesten bekannten Heilpflanzen und wurde bereits vor 3000 Jahren in China und Indien verwendet. In Europa erlangte es im Mittelalter Ansehen und blieb bis zum Ende des 19. Jahrhunderts ein häufig eingesetztes Heilmittel. Der Rückgang des medizinischen Einsatzes von Cannabis wurde durch den Fortschritt in der Medizin und die Entwicklung effektiverer Arzneimittel verursacht. Erst 1964 isolierte der Chemiker Raphael Mechoulam den psychoaktiven Hauptwirkstoff von Cannabis, was zu einem erneuten Interesse an der Pflanze führte. In den folgenden Jahren wurde das Endocannabinoidsystem entdeckt, welches aus Rezeptoren, Liganden und Enzymen besteht und einen wesentlichen Einfluss auf verschiedene neuronale Prozesse wie Schmerzempfinden, Lernen, Appetit und Immunantwort hat.
Cannabis sativa enthält zahlreiche Wirkstoffe, darunter die Hauptwirkstoffklassen Cannabinoide. Cannabinoide sind für ihre analgetischen, antispastischen, antiemetischen, appetitsteigernden und psychoaktiven Effekte bekannt. Eine andere wichtige Wirkstoffklasse, die Cannabidiol, zeigt antipsychotische, antikonvulsive, anxiolytische, schlaffördernde, antiinflammatorische und analgetische Wirkungen. Beide Wirkstoffklassen wirken an den Cannabinoid-Rezeptoren CB1 und CB2, die im zentralen Nervensystem sowie in verschiedenen Organen und dem Immunsystem vorkommen.
In Deutschland stehen verschiedene Cannabisarzneimittel zur Verfügung, darunter Rezepturarzneimittel wie bestimmte Cannabinoid-Zubereitungen und Cannabisblüten sowie Fertigarzneimittel. Die Rezepturarzneimittel werden individuell in Apotheken hergestellt und sind nicht zulassungspflichtig. Fertigarzneimittel umfassen unter anderem Präparate, die spezifische Indikationen haben wie therapierefraktäre Spastiken bei multipler Sklerose und refraktäre Übelkeit und Erbrechen unter Chemotherapie. Seit 2017 können Cannabisblüten und -extrakte für schwerkranke Patienten verschrieben werden, wobei die Kostenübernahme durch die Krankenkassen genehmigungspflichtig ist.
Cannabisarzneimittel werden zur Behandlung verschiedener Symptome und Erkrankungen eingesetzt, darunter chronische neuropathische Schmerzen, multiple Sklerose-assoziierte Spastiken, Übelkeit und Erbrechen infolge einer Chemotherapie sowie Appetit- und Geschmacksveränderungen bei HIV und Krebserkrankungen. Die Europäische Schmerzgesellschaft empfiehlt die Anwendung von Cannabisarzneimitteln in der Drittlinie bei chronischen neuropathischen Schmerzen. Für andere Schmerzformen und Indikationen wie Tumorschmerzen und spastische Zustände gibt es unterschiedliche Empfehlungen, die auf der variablen Evidenzlage basieren. Es besteht ein Bedarf an weiteren qualitativ hochwertigen Studien, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Cannabisarzneimitteln besser zu bewerten.
Cannabisarzneimittel sollten nicht bei Patienten mit schweren Persönlichkeitsstörungen, Psychosen oder kardiovaskulären Vorerkrankungen angewendet werden. Sie sind ebenfalls nicht für die Anwendung in der Schwangerschaft und Stillzeit geeignet. Häufige Nebenwirkungen umfassen Müdigkeit, Schwindel, Schläfrigkeit, Übelkeit, Mundtrockenheit und Aufmerksamkeitsstörungen. Eine wesentliche Herausforderung besteht in der Toleranzentwicklung gegenüber den psychischen Nebenwirkungen von Cannabinoiden. Zudem sollte die Interaktion mit anderen Arzneimitteln, insbesondere bei der Anwendung von Cannabidiolen, berücksichtigt werden.
Cannabisarzneimittel bieten eine vielversprechende Ergänzung zu bestehenden Therapien, insbesondere für chronische neuropathische Schmerzen und MS-assoziierte Spastiken. Obwohl die Evidenz für einige Indikationen noch begrenzt ist, können sie bei entsprechender Indikation und sorgfältiger Überwachung eine wertvolle therapeutische Option darstellen. Die fortlaufende Forschung und Anpassung der rechtlichen Rahmenbedingungen sind entscheidend, um den Zugang zu diesen Medikamenten zu verbessern und ihre Anwendung zu optimieren.